RÜCKBLICK AUF DIE JURISTENMESSE 2021
– Am Festtag der Heiligen Thomas Morus und John Fisher–
mit Weihbischof Dipl.Ing. Mag. Stephan Turnovszky
Am Dienstag, dem 22. Juni 2021 wurde die Juristenmesse in der Wiener Franziskanerkirche gefeiert.
Bereits zu Beginn der heiligen Messe übergab der bisherige Vorsitzende des Komitees Juristenmesse, Uni-Prof. Gerhart Holzinger die Leitung des Komitees an den emeritierten Rechtsanwalt Dr. Benedikt Spiegelfeld. Dieser bedankte sich bei seinem Vorgänger und konnte sichtlich erfreut zahlreiche Juristinnen und Juristen begrüßen.
In seiner Predigt ging der Wiener Weihbischof Stephan Turnovszky auf das Spannungsverhältnis von Autonomie und Wert des Lebens ein und führte seine Überlegungen anhand der aktuellen juristischen Fragestellungen rund um die Themenkomplexe „Sterbehilfe“ und „Abtreibung“ aus.
Eine Zusammenfassung der Predigt des Bischofs, sowie die Möglichkeit sie nachzuhören, finden Sie weiter unten.
Im Anschluss war es gemäß den geltenden Corona-Bestimmungen möglich, auf Einladung des Bankhaus Schelhammer & Schattera, auf ein Getränk und Häppchen in das gegenüberliegende Kleine Café zu einem Austausch hinüberzugehen.
„Märtyrer müssen nicht nachlernen“
„Jesu Weg ist ein anspruchsvoller Weg“, den wolle und könne nicht jeder mitgehen. Er erfordere Entschlossenheit und Leidensbreitschaft. Einige Menschen die besonders viel von der Botschaft Jesu verstanden hätten und ihr gefolgt seien, würden wir als Märtyrer kennen. Der Unterschied zwischen diesen Heiligen und uns sei, dass sie nach ihrem Tod nicht mehr ins Fegefeuer müssten. Weihbischof Turnovszky stellte klar, dass damit kein Ort mit Flammen gemeint sei, sondern die Situation der Erkenntnis der Dinge, die man in seinem Leben nicht verwirklicht habe. Ein „Ort des Nachlernens“ also in dem der Mensch vollendet würde und von dem „es nur einen Ausgang gibt: den Himmel“.
„Das Gewissen orientiert sich auf die Liebe hin“
Mit Blick auf die aktuellen Debatten um die rechtlichen Regulierungen von Abtreibung und assistiertem Suizid verortete der Bischof ein Spannungsfeld zwischen Autonomie auf der einen und dem Wert des Lebens auf der anderen Seite. „Was ist mehr wert?“, sei die aktuelle Frage. Diese Frage tauche aber auch mit Blick auf die Märtyrer auf, die ihre freie Entscheidung über ihr Leben gestellt hatten.
Um Einzelsituationen und vor allem Dilemmata vor diesem Hintergrund ansehen und bewerten zu können, müsse man vom Grundprinzip in der Mitte der Theologie ausgehen. Dieses laute schlicht „Gott ist die Liebe“ und hieraus lasse sich die gesamte katholische Theologie entfalten. Vor allem orientiere sich auch das Gewissen auf die Liebe hin.
Menschen die in ihrem Leben geliebt haben, seien vollendet und glücklich. Jene, die sie verpasst oder schuldig geblieben wären, würde das beschäftigen und zwar „im Leben, im Sterben und nach dem Sterben“. Liebe meine in diesem Zusammenhang bereit zu sein, etwas zu schenken, damit es einem anderen gut gehe, sie sei untrennbar mit den Begriffen „Hingabe“ und „Opfer“ verbunden. Ein christliches Opfer sei eine Hingabe oder ein Geschenk aus Liebe.
„Man darf sein Leben aus Liebe schenken.“
Ausgehend von diesen Grundüberlegungen ging Weihbischof Turnovszky auf die drei bereits eingangs genannten Themenkomplexe ein. Zuerst auf die Frage des Martyriums:
Der Märtyrer nehme seine Autonomie in Anspruch, um sich für eine größere Liebe zu entscheiden. Er liebe die Menschen, denen er durch seine Bereitschaft zum Tod die Wahrheit bezeuge. Mit Blick auf die anderen Menschen mache es einen großen Unterschied, wie ich mich verhalte. Mit Blick auf die Tagesheiligen verwies der Bischof darauf, dass das Verhalten der beiden von den Zeitgenossen wahrgenommen worden sei und gerade deshalb den König so erzürnt habe. Die Entscheidung habe einen Unterschied gemacht und wirke bis heute: „Deshalb sind wir heute hier!“ Man dürfe also sein Leben aus Liebe für andere herschenken.
„Darf ein Mensch seine Autonomie in Anspruch nehmen, um einen anderen zu töten? Nein!“
Im Zusammenhang mit Abtreibungen sei die Lage aus christlicher Sicht sehr einfach, denn die Frage sei, ob ein Mensch einen anderen töten dürfe. Die Antwort darauf sei klar: „Nein!“ Wenn es immer lapidar heiße „Mein Bauch gehört mir“, dann müsse man antworten „Ja, aber nicht das Baby im Bauch“. Kein Mensch gehöre einem anderen, sondern nur Gott.
Jedoch müsse man die Notsituation der werdenden Mütter ernst nehmen. Man müsse ihnen und den Vätern helfen, „Ja“ zum Kind sagen zu können, auch wenn es Opfer koste sowohl von den Eltern, also auch von der Gesellschaft. Dies sei die Logik und der Weg der Liebe. Das Umfeld und wir alle seien hier gefordert, damit ein Kind auf die Welt kommen könne.
„Schau, dass es einem anderen gut geht!“
Auch beim assistierten Suizid sei die Frage, was mehr wiege: „Die Autonomie oder das eigene Leben?“ Könnte man in diesem Zusammenhang davon sprechen, dass man aus Liebe auf das eigene Leben verzichte? Oft höre man das Argument, dass man anderen nicht zur Last fallen wolle und hierin also der Akt der Liebe bestehe. Der Bischof stellte die Frage, woher man wisse, dass man anderen zur Last falle und ob der andere nicht bereit sei, jemanden zu begleiten, obwohl er ihm zur Last falle?
In diesem Kontext von Autonomie und Leben, sei das Wort des Apostels Paulus interessant, der geschrieben hat „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“ Paulus hätte aus Liebe zu Gott für ihn in seinem Herzen Platz gemacht und ihm das Ruder überlassen. Er habe sich in seiner Autonomie entschlossen, Gott seine Freiheit in die Hände zu legen.
Vor diesem Hintergrund sei dann der assistierte Suizid auch anders zu bewerten. „Da heißt es: Ich will entscheiden, ob ich lebe oder sterbe. Ich will mein Leben selbst in der Hand halten.“ Der Bischof lud ein, von dieser Stelle aus weiter zu denken, man stehe „mitten im Geheimnis des Glaubens“.
Vom Suizid selbst sei aber die Frage der Assistenz zu unterscheiden – wie Turnovszky in nachfolgenden Gesprächen betonte. Die Rolle des Assistenten sei moraltheologisch nicht einfach an die Bewertung des Suizids gebunden, sondern sei eigenständig zu beurteilen. Und hier führe das Primat der Liebe regelmäßig zum Gebot der Hilfe zum Weiterleben.
Weihbischof Turnovszky berichtete aus eigener Erfahrung, dass dieses Opfer einer begleitenden Person manchmal übermenschliche Kraft erfordere, aber dass grade in solchen Situationen am Ende oft ein tiefes Gefühl der Stimmigkeit erstehen könne. Jedoch sei auch hier die Gesellschaft als Ganzes gefordert, damit einzelne Menschen nicht überfordert würden. Der Mensch sei so geschaffen, dass es in ihm den Imperativ gebe: „Schau, dass es einem anderen gut geht!“
„Es ist schön, dass wir gemeinsam die heilige Messe feiern“
Die heilige Messe sei die Feier vom Sterben und der Auferstehung von Jesus Christus. Jesus habe sein Sterben so verstanden, dass er sich nicht das Leben genommen habe, sondern es frei und autonom in die Hände des Vaters und der Menschen gelegt habe und das „aus dem Glauben heraus, dass Gott die Liebe ist und das letzte Wort hat.“ Aus diesem Grund gebe es auch die Märtyrer, die in Verbundenheit mit Christus diesen Weg gegangen seien.